Ja, wenn es sich um besondere künstlerische und kulturelle Angebote handelt, dann werden 20 Kilometer selbstverständlich in Kauf genommen. Kein Problem – egal, ob mit Auto, Rad, Bus oder Bahn. Es muss sich noch nicht einmal um herausragende Events handeln, die sowieso ein Publikum innerhalb der Region, und darüber hinaus, anziehen.
Das Bochumer Zeltfestival etwa, oder die Ruhrtriennale mit internationaler Besetzung locken das Publikum aus jedem Teil der Republik – und darüber hinaus – an.
Wege, die sich lohnen
Um 20 Kilometer zu fahren reichen auch gute Tipps aus, da sind es die Perlen, die zur Anreise reizen. Veranstaltungen – oder Künstler, die man schätzt, oder persönlich kennt, sind Grund genug, um sich in Schale zu werfen. Dies trifft in besonderer Weise auch auf die Kulturzentren in der Region zu, die in den vergangenen Jahren höchst individuelle Angebote herausgearbeitet haben. Der Reiz liegt im Besonderen, wenn man nicht genau vorhersagen kann, was einen erwartet.
Im Ruhrgebiet ist es naheliegend, Angebote in verschiedenen Städten kennen zu lernen. Die Lebensentwürfe der Menschen haben sich grundlegend verändert. Kontakte werden an unterschiedlichen Orten gepflegt, Grenzüberschreitungen gehören zur Normalität.
Immer mehr Gruppen bilden sich, die Teilöffentlichkeiten bilden und einander in den eigenen Szenen treffen. Kulturzentren sind für diese Szenen hervorragend geeignet, da dies Teil ihrer Programme ist.
Räume als Optionen
Gerade sie versinnbildlichen Räume als Optionen und repräsentieren offene, neue, entwicklungsfähige Sichtweisen. Sie greifen Lebensentwürfe auf: Pluralität, Brüche, Aushandlungen. Gerade die Vielfalt und Widersprüchlichkeiten sind Chance und Spiegel zugleich. Zeigen sie sich doch in Theateraufführungen, Musik, Ausstellungen oder Lesungen.
Sie bringen Menschen zusammen, die nicht mit den Interessen an Kultur zu Besuch kamen. Kunst und Kultur als Ausdrucksmittel kann erprobt und im Team zusammen geführt werden. Man muss nicht nur passiv antizipieren. Möglichkeitsräume geben Raum fürs Experiment, zur neuen Sprache und Identitätsbildung.
So erfährt man auch viel von fremden Kulturen, und Befindlichkeiten, Verflechtungen und Durchmischungen.. Die Zentren stehen von Anfang an für das Leitbild der offenen Gesellschaft und lebender Auseinandersetzung.
Neues Selbstverständnis
Diesem Selbstverständnis entspricht in hohem Maße die sich ändernde Geisteshaltung hin zum cultural turn als Paradigmenwechsel. Die Zentren bilden Hot Spots der Veränderung sozialer Wirklichkeiten und Identitäten. Sie bilden eine Brücke von der regionalen Ausstrahlung bei gleichzeitiger starker Hinwendung zum eigenen Quartier.
Urbanität in diesem Sinne bedeutet, räumliche Strukturen als Sinnhaftigkeit zu erleben. Sie sind Ankerpunkt. für individuelle Lebensfragen, bilden Heimat und ermöglichen Identität – auch in Netzwerken.
Besondere Spannungen
Die Besucher erleben besondere Spannungen, anders als an anderen Orten. Immerhin spüren sie hier noch die industriellen Bedingungen der körperlichen Arbeit auf der einen Seite und der oftmals feudalen Architektur auf der anderen Seite.
So können sie entspannen – diese schwere Arbeit müssen sie nicht mehr leisten und können sich den Aktivitäten in den Gruppen hingeben – oder einfach konsumieren. Die Räume entwickeln sich zu Spiel- und Möglichkeitsräumen.
Dies passt zu der Erlebnisorientierung, die nicht mehr den Kampf ums Leben thematisiert, sondern vermittelt das Gefühl, dass sich besonders ‘hier’ das Leben lohnt. Und so sucht man nach eigenen Wahlmöglichkeiten auch in verschiedenen Zentren heraus, was passend erscheint, wo man die bevorzugten Gruppen findet und fährt – auch mehr als 20 Kilometer, um sich verorten zu können. (mbg)